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Gipfel in Dresden Bund und Länder uneins über bessere Bildungs-Finanzierung

Große Runde, hehres Ziel: Bund und Länder haben auf ihrem Bildungsgipfel kräftige Investitionen in Bildung und Forschung versprochen. Bis 2015 sollen die Ausgaben auf zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen - doch woher das Geld kommen soll, ist völlig unklar.

Hamburg - Bund und Länder wollen die Mittel für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigern. Das sagten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) am Mittwoch in Dresden nach dem sogenannten Bildungsgipfel von Bund und Ländern. Drei Prozent sollen dann in die Forschung fließen, sieben Prozent in die Bildung, so Merkel.

Gruppenfoto beim Bildungsgipfel: "Ein Riesenschritt"

Gruppenfoto beim Bildungsgipfel: "Ein Riesenschritt"

Foto: DPA

Zudem solle der Hochschulpakt über 2012 hinaus bis 2020 verlängert werden. Damit will der Staat auf steigende Studentenzahlen und auf die doppelten Abiturientenjahrgänge reagieren, die durch die Verkürzung der Schulzeit von 13 auf 12 Jahre bis zum Abitur entstehen. Nach Prognosen der Kultusminister wird die Zahl der Studienanfänger in den kommenden Jahren erheblich steigen.

Die Kanzlerin räumte ein, dass bei dem Treffen um diesen Punkt heftig gerungen worden sei. Nicht allen Erwartungen der Länder könne der Bund gerecht werden. Merkel lobte das Ergebnis als "Riesenschritt"; sie sei sich in den letzten Wochen nicht sicher gewesen, ob man dieses Ziel auf dem Bildungsgipfel bereits erreichen werde. Wie dieses Geld aufgebracht werden soll, sei allerdings nach wie vor strittig, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Eine Strategiegruppe solle innerhalb der nächsten zwölf Monate Einzelheiten erarbeiten - konkrete Ergebnisse gäbe es also erst nach der nächsten Bundestagswahl.

Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" müsste der Staat jährlich rund 20 Milliarden Euro mehr als bisher ausgeben, um das Zehn-Prozent-Ziel zu erreichen. Bisher liege der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt bei 6,2 Prozent für Bildung und 2,7 Prozent für Forschung, also zusammen knapp neun Prozent. Dabei handelt es sich allerdings nicht allein um staatliche Ausgaben - die Bildungsinvestitionen der Wirtschaft sind bereits eingerechnet, sie betragen etwa ein Viertel der Gesamtsumme. Das BIP beziffert die wirtschaftliche Gesamtleistung einer Volkswirtschaft; es ist die Zusammenfassung des Werts aller produktiven Leistungen, die von sämtlichen im Inland aktiven Produktionsfaktoren erbracht werden.

Um konkrete Zahlen drückten sich die Gipfelstürmer

Die OECD beziffert die deutschen Bildungsausgaben für das Jahr 2005 auf 5,1 Prozent des BIP, berücksichtigt dabei allerdings nicht die Ausgaben für Weiterbildung, Jugendarbeit, Horte sowie das Studenten- und Schüler-Bafög. Damit liegt Deutschland erheblich unter dem OECD-Schnitt von 5,8 Prozent. Im aktuellen Bericht "Bildung in Deutschland", in Auftrag gegeben von den Kultusministern, werden die Bildungsausgaben etwas anders berechnet. Dem Bericht zufolge haben sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schritt gehalten und sind prozentual zwischen 1995 und 2005 deutlich gesunken - von 6,9 auf 6,3 Prozent des BIP. Der Unterschied macht für das Jahr 2005 rund 13 Milliarden aus.

Falls es nicht bei einer losen Absichtserklärung bleibt und der Staat seine Ausgaben in den nächsten Jahren tatsächlich steigert, würde er also in erster Linie vergangene Versäumnisse korrigieren. Ein gemeinsamer Kraftakt von Bund und Ländern wäre nötig - aber beim Bildungsgipfel gab es keine konkreten Antworten auf die zentrale Frage, wer das Geld aufbringen soll. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte das Bundesbildungsministerium mit, es handele sich um Mehrausgaben von 25 bis 60 Milliarden Euro - im gesamten Zeitraum bis 2015, also nicht etwa pro Jahr. Diese Zahl nannte auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich.

Merkel betonte, gemeinsames Ziel von Bund und Ländern sei es, Bildung und damit Wohlstand für alle zu erreichen. Denn Bildung sei der Schlüssel für Wohlstand im 21. Jahrhundert. Im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit sollten die Quoten von Schul- und Ausbildungsabbrechern halbiert werden.

Studiengebührenzwist geht weiter

Bund und Länder seien der gemeinsamen Überzeugung, dass Wohlstand nur durch Bildung für alle erreicht werden könne, sagte Merkel weiter. Das Dresdner Treffen sei ein wichtiger Schritt hin zur "Bildungsrepublik". Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hätten sich Bund und Länder auf derartige gemeinsame Leitsätze verständigt.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wies darauf hin, dass es zwischen SPD und Union einen Dissens bei den Studiengebühren gebe. Die SPD lehne Gebühren ab, weil sie sozial schwächeren Schichten den Zugang zum Studium erschwerten. Eine Studie zur Abschreckungswirkung der Campusmaut vor allem auf Abiturienten aus armen Familien hatte vor dem Bildungsgipfel heftigen Streit zwischen Sozialdemokraten und CDU entfacht. Keine Einigung gegeben habe es auch bei SPD-Forderungen nach kostenlosem Mittagessen für Kinder aus "Hartz-IV-Familien" sowie dem Einsatz von Sozialarbeitern in Schulen, so Wowereit

Vor dem Bildungsgipfel gab es reichlich Zwist, speziell zwischen Merkel und Schavan einerseits und den CDU-Landesfürsten andererseits. Nach dem Treffen, das drei statt der geplanten zwei Stunden in Anspruch nahm, bemühten sich die Teilnehmer demonstrativ um Harmonie. Sofort meldeten sich allerdings Kritiker zu Wort, zum Teil mit lautstarken Vorwürfen.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) reagierte "enttäuscht". Ein Bildungsgipfel ohne verbindliche Finanzvereinbarung bringe die Hochschulen nicht weiter, sagte die HRK-Präsidentin Margret Wintermantel. Im Gegenteil spitze sich die Situation weiter zu - weil "bei Studieninteressenten Erwartungen geweckt werden, die zunächst nicht einzulösen sein werden".

"Nur ein bisschen politischer Voodoo"?

Ebenfalls enttäuscht zeigte sich Andreas Pinkwart, Wissenschaftsminister im bevölkerungs- und studentenstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der FDP-Politiker bezeichnete die Ergebnisse als "mager": "Wir vermissen klare Zusagen, feste Termine und verbindliche Budgets - Vorhang zu, die meisten Fragen offen." Ansatzweise sei das nur beim Hochschulpakt gelungen. "Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob die Bildungsrepublik Realität wird oder nur ein bisschen politischer Voodoo war", so Pinkwart. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sprach dagegen von einem "großen Fortschritt".

Die Grünen-Bildungsexpertin Priska Hinz nannte den Bildungsgipfel ein Desaster, weil der angekündigte Aufbruch in die Bildungsrepublik in kleinkarierten Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern steckenbleibe, bevor er überhaupt richtig begonnen habe. Merkel präsentiere lediglich aufpolierte Ladenhüter in neuer Verpackung. Von einem Flop sprach Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzer der Linken: "In Dresden wurde mit großem Aufwand viel heiße Luft produziert", Deutschland bleibe in der Bildungspolitik internationales Schlusslicht der führenden Industriestaaten.

FDP-Bildungspolitiker Patrick Meinhardt warf den Gipfelteilnehmern vor, dass "alle konkreten Maßnahmen auf einen Termin nach der Bundestagswahl vertagt werden". Die Einrichtung einer Strategiekommission mache den Gipfel zur "bildungspolitischen Nullnummer", an Gremien in der Bildung fehle es wirklich nicht.

Beim Bildungsgipfel handele es sich "eher um einen Bildungshügel", spottete der sächsische SPD-Fraktionschef Martin Dulig. Merkel habe "Schiffbruch erlitten", sagte Ulrich Thöne, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW: "Merkels 'Bildungsrepublik Deutschland' ist tot." Aus Sicht des Lehrerverbandspräsidenten Josef Kraus brachte das Dresdner Treffen nur vage Absichtserklärungen zustande: "Der Bildungsgipfel ist in der Geschichte nur eine unbedeutende Fußnote" und ändere nichts an der Situation in deutschen Schulen und am eklatanten Lehrermangel.

Mit Material von dpa/AP/AFP/ddp

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